Medizinnobelpreis 2001: Leland Hartwell — Timothy Hunt — Paul Nurse

Medizinnobelpreis 2001: Leland Hartwell — Timothy Hunt — Paul Nurse
Medizinnobelpreis 2001: Leland Hartwell — Timothy Hunt — Paul Nurse
 
Der amerikanische Wissenschaftler Hartwell und seine britischen Kollegen Hunt und Nurse wurden für ihre Entdeckungen im Bereich der Schlüsselregulatoren beim Zellzyklus ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Leland Hartwell, * Los Angeles 30. 10. 1939; Ausbildung am California Institute of Technology und am Massachusetts Institute of Technology, 1965 bis 1968 Associate Professor an der University of California, ab 1968 Associate Professor und Professor an der University of Washington, seit 1997 Leiter des Fred Hutchinson Krebsforschungszentrums in Seattle.
 
Timothy Hunt, * Neston (Cheshire) 19. 2. 1943; Ausbildung an der University of Cambridge, seit 1991 Wissenschaftler an den Clare Hall Laboratories des Imperial Cancer Research Fund in South Mimms, GroÅßbritannien.
 
Sir (seit 1998) Paul Nurse, * Norwich 25. 1. 1949; Ausbildung an der University of East Anglia, seit 1996 Direktor und Leiter des Zellzyklus-Labors des Imperial Cancer Research Fund in London.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Jeder Ingenieur und die besten Konstruktionsbüros auf der Erde wären hoffnungslos überfordert, wenn man ihnen die gleiche Aufgabe stellen würde, die ein Organismus ohne große Wartungen scheinbar von selbst jahrzehntelang erfüllt. Hunderttausend Milliarden Zellen sollen exakt funktionieren, sich im richtigen Moment teilen und vermehren, zu anderen Zeitpunkten in Wartestellung reglos auf neue Befehle warten. Auch wenn er nicht im Traum daran denken kann, eine solche Maschine selbst zu bauen, ist dem Ingenieur zumindest ein Funktionsprinzip sofort klar: Nur allgemein gültige und sehr rigide Kontrollmechanismen garantieren die Funktion eines solch komplexen Organismus. Genau diese Kontrollen haben die Briten Tim Hunt und Paul Nurse sowie der Amerikaner Leland Hartwell in der Zelle entdeckt. Und da von der Bäckerhefe bis zum Menschen in allen Arten anscheinend die gleichen Kontrolleure am Werk sind, war die Fachwelt sich sofort einig, dass die drei Wissenschaftler völlig zurecht mit dem Medizin-Nobelpreis des Jahres 2001 ausgezeichnet worden sind.
 
 Hartwell und die Kontrollpunkte in der Zelle
 
Aufgefallen war Leland Hartwell zunächst eine Kleinigkeit, die viele andere wohl achselzuckend als wenig interessant nicht weiter beachtet hätten: Während Hefezellen sich normalerweise immer weiter vermehren, wenn nur genug Nährstoffe und ausreichend Platz zum Wachsen vorhanden sind, gibt es bestimmte Stämme, die sehr langsam wachsen oder ganz damit aufhören. Leland Hartwell wollte schlicht wissen, wie es dazu kommt. Hefezellen mögen zwar auf den ersten Blick nicht sonderlich interessant scheinen. Aber immerhin handelt es sich um die einfachsten Verwandten des Menschen. Besonders grundlegende Vorgänge könnten bei beiden zumindest ähnlich ablaufen, vermuten Forscher schon lange.
 
Bei der Hefe und beim Menschen teilen sich zum Beispiel alle Zellen nach einem festen Plan. Heute wissen die Forscher, dass ein ganzes Arsenal von Molekülen im Innern jeder Zelle diesen Rhythmus streng kontrolliert und bei Unregelmäßigkeiten sofort Alarm schlägt. Denn sobald in diesem komplizierten Uhrwerk von Mechanismen, die in einer Zelle ineinander greifen, etwas nicht stimmt, ist Gefahr im Verzug. Teilen sich zum Beispiel Zellen zu selten oder zu langsam, können unter Umständen absterbende alte Zellen nicht rechtzeitig ersetzt werden. Teilen sich die Zellen dagegen zu häufig, beginnt das Gewebe zu wuchern, im Extremfall entstehen ein Tumor und Krebs.
 
Als Leland Hartwell Anfang der 1970er-Jahre seine Hefezellen beobachtete, kannte man zwar solche prinzipiellen Zusammenhänge. Welche Vorgänge dabei aber im Innern der Zellen ablaufen, wusste niemand. Der amerikanische Forscher identifizierte zunächst einmal die Beteiligten bei der Kontrolle der Zellteilung in der Bäckerhefe. Mehr als hundert verschiedene Eiweiße spielen in der einen oder anderen Weise eine Rolle, fand der Forscher mit einigem Aufwand heraus. Dieses Ergebnis enttäuschte ein wenig, da es auf recht komplizierte Verhältnisse hindeutet.
 
In einem fein abgestimmten Konzert bilden diese Eiweiße ein komplexes System, dessen einzelne Komponenten wie die Rädchen eines Uhrwerks exakt ineinander greifen. Dieses Uhrwerk genau zu verstehen oder zu imitieren dürfte auch in absehbarer Zukunft schwer fallen. Aber Leland Hartwell entdeckte auch den Hauptschalter, der die ganze Kaskade von Reaktionen startet. Ist dieser defekt, funktioniert gar nichts mehr.
 
Das gleiche Phänomen — nichts geht mehr — fand der Amerikaner auch in Zellen, deren Erbgut er mit starker Bestrahlung zerstört hatte. Offensichtlich gibt es bestimmte Kontrollpunkte in der Zelle, die überprüfen, ob alles in Ordnung ist, folgerte er aus dieser Beobachtung. Solche Checkpoints sorgen dafür, dass die Zelle keine Arbeit in die Vermehrung von beschädigtem Erbgut investiert, da solche Zellen ohnehin nicht lebensfähig sind.
 
 Nurse und die CD-Kinasen
 
In London entdeckte Paul Nurse mehr als 15 Jahre nach den Arbeiten von Hartwell nicht nur einen weiteren Hauptschalter zur Kontrolle der Zellvermehrung. Der Wissenschaftler konnte vor allem auch zeigen, dass in den Zellen des Menschen recht ähnliche Eiweiße die gleichen Funktionen wie in der Hefe ausüben. CD-Kinasen nennt man diese Proteine, von denen man inzwischen eine ganze Reihe kennt. Jedes von ihnen kontrolliert bestimmte Schritte bei der Zellteilung.
 
Manch einer mag an dieser Stelle an einen angeblichen Ausspruch von Wladimir Iljitsch Lenin denken: »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.« Nachdenkliche Zeitgenossen setzen gerne noch eine Frage drauf: »Aber wer kontrolliert die Kontrolleure?« Denn ein versagender Kontrolleur richtet meist erheblich größeren Schaden an als ein schief laufender Prozess, den er eigentlich kontrollieren soll. Auch in dieser Hinsicht ist die Zelle gerüstet.
 
 Hunt und die Kontrolle der Kontrolleure
 
Entdeckt hat dies Tim Hunt, allerdings nicht durch systematische Suche wie seine Mit-Laureaten. Ihm kam der Zufall in Form eines Studentenkurses für Meeresbiologie zu Hilfe. Die Studenten sollten sich teilende Seeigeleier beobachten, als Tim Hunt ein bestimmtes Protein auffiel, das im Rhythmus der Zellteilung auftauchte und wieder verschwand. Offensichtlich musste dieses Cyclin genannte Eiweiß ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Zellteilung spielen, spekulierte der Forscher völlig zurecht: Es gibt eine ganze Reihe von Cyclinen, die sich mit den CD-Kinasen verbinden und so deren Aktivität beeinflussen und steuern.
 
Damit waren die Kontrolleure und deren Kontrollen beim Zellzyklus bekannt. Versagen diese Kontrollen, bremst zum Beispiel nichts mehr die Vermehrung einer Zelle. Das ist der erste Schritt zu einem Tumor, dessen Kennzeichen ja ungebremstes Wachstum ist. Tatsächlich haben andere Wissenschaftler längst einige Kontrolleure identifiziert, deren Versagen eine Zelle zur Krebszelle werden lässt.
 
Kennt man aber die Proteine, die versagen, kann man auch relativ einfache Tests ausarbeiten, die einen solchen Defekt frühzeitig anzeigen und damit auf eine beginnende Krebserkrankung hinweisen können. Und man kann Wirkstoffe suchen, die den Defekt wieder ausbessern oder die sich den Defekt zunutze machen, um die Krebszelle zu töten. Einige dieser Substanzen befinden sich bereits in den ersten klinischen Tests. Der Einblick in das Uhrwerk der Zelle und die Suche nach den Kontrolleuren hat sich also gelohnt.
 
R. Knauer, K. Viering

Universal-Lexikon. 2012.

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